Historisches Zeitungsviertel: Mosse, Ullstein und die frühen Massenmedien

Heute vor 125 Jahren, am 4. Januar 1892, erschien die erste Ausgabe der „Berliner Illustrirten Zeitung“, die erste deutsche Massenzeitung dank fortschreitender Industrialisierung mit u.a. neuem Offsetdruckverfahren und verbilligter Papierproduktion zum für so gut wie jedermann erschwinglichen Preis von 10 Pfennig. In den 1920ern war das Karree rund um Schützen-, Koch- (heute: Rudi-Dutschke-Straße), Zimmer- und Jerusalemer Straße zum weltweit größten Zeitungsviertel herangewachsen: Rund 600 Tageszeitungen, Unterhaltungsblätter, Fachzeitschriften wurden hier in der südlichen Friedrichstadt produziert.

Prägend waren vor allem drei Verleger: Rudolf Mosse, Leopold Ullstein und August Scherl. Bereits 1867 hatte Rudolf Mosse mit der Gründung seiner „Annoncen-Expedition Rudolf Mosse“ das Anzeigengeschäft im Printbereich revolutioniert, 1872 mit dem bürgerlich-liberalen „Berliner Tageblatt“ eine eigene Zeitung gegründet und eine Immobilie in der Jerusalemer Straße 48 erworben. 1882 kaufte er das Nachbarhaus und nach und nach weitere Grundstücke – der Verlagsneubau an der Schützenstraße, Ecke Ecke Jerusalemer Straße von 1903 umfasste 6000 Quadratmeter Fläche. Einst arbeitete hier unter anderem Kurt Tucholsky, der von Dezember 1918 bis März 1920 die satirische Wochenbeilage Ulk des Tageblatts als Chefredakteur verantwortet. In der Woche vom 5. bis zum 12. Januar 1919 war das Mosse-Haus einer der zentralen Kampfschauplätze des Spartakusaufstandes, wie Unda Hörner in ihrem literarischen Berlin-Führer anschaulich schildert:

„Kommunistische Arbeiter besetzten die Verlagshäuser, das war strategisch wichtig, denn hier saß man direkt am Hebel, an der Druckerpresse, wo Schlagzeilen im Sinne der Revolution gemacht werden sollten. Den Linken war weniger der liberale Mosse ein Dorn im Auge, als Ullsteins sensationslüsterne Berliner Morgenpost, schon damals respektlos als ‚Mottenpost‘ tituliert. Dennoch blieb gerade das Mosse-Haus bis zum bitteren Ende die umkämpfte Bastion der Spartakisten. Angestrebt war eine Räteregierung nach sowjetischem Vorbild. Auch das Haus von Mosse wurde belagert, auf den Straßen im Zeitungsviertel verschanzten sich bewaffnete Aufständische hinter dicken Walzen unbedruckten Zeitungspapiers. Als nationalistische Freikorps dem Aufstand brutal ein Ende setzten, gab es zahlreiche Tote und Verletzte, die Anführer des Aufstands, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurden hinterrücks ermordet. Die Berichterstattung in den bürgerlichen Zeitungen, zu denen auch das Berliner Tageblatt gehörte, verzerrte das Geschehen, indem sie davon sprach, Liebknecht sei bei einem Fluchtversuch erschossen worden, Rosa Luxemburg von der aufgebrachten Menge gelyncht.“ (aus: „Das Zeitungsviertel“, in: Unda Hörner: Orte jüdischen Lebens in Berlin. Literarische Spaziergänge durch die Stadt, Insel Verlag Berlin 2010, S.12)

Die Revolutionskämpfe hatten dem Gebäude zugesetzt. Den extravaganten, schwarz gekachelten „Eckaufsatz“ hat der heute noch erhaltene Gründerzeitbau 1923 mit der modernen Umgestaltung durch den Architekten Erich Mendelsohn erhalten. Rudolf Mosse war zu dem Zeitpunkt schon verstorben, sein Schwiegersohn entschied sich für die moderne Sanierung im Geiste des Neuen Bauens der 1920er.

Leopold Ullstein, der andere große Verleger, kaufte 1877 das „Neue Berliner Tageblatt“, das von einem Teil ehemaliger Mitarbeiter der Mosse-Redaktion gegründet worden war, und legte damit den Grundstein seines Erfolges. Die Berliner Zeitung (BZ), die Berliner Morgenpost und die BZ am Sonntag gehörten unter anderem zum Ullstein-Verlag und eben auch die „Berliner Illustrirte Zeitung“, die Ullstein 1894 erwarb. Zum Ende der Weimarer Republik lag die wöchentliche Auflage der BIZ bei zwei Millionen! Zwischen 1901 und 1918 expandierte auch Ullstein im Zeitungsviertel und kaufte nach und nach Grundstücke entlang der Kochstraße zusammen, wo heute unter anderem die taz ihren Sitz hat (Rudi-Dutschke-Straße ehemals Kochstraße 25).

Der dritte Verleger, der Viertel und Branche damals mitprägte, war August Scherl. Scherl verkaufte seinen Verlag jedoch bereits 1916 an den rechtsnationalen Verleger Alfred Hugenberg – einen Wegbereiter Adolf Hitlers. Ab 1933 erfolgte die Gleichschaltung der Presse, die „Arisierung“ der Verlage: Die Familien Mosse und Ullstein wurden enteignet. Die Familie Ullstein bekam ihren Verlag 1953 zurück, 1956 kaufte Axel Cäsar Springer erste Anteile und begründete damit sein verlegerisches Engagement in Berlin, 1959 übernahm er den Ullsteinverlag komplett.

Bis auf das Mosse-Haus ist von der Bausubstanz des historischen Zeitungsviertels heute so gut wie nichts erhalten. Bei Bombenangriffen im Februar 1945 wurde fast das gesamte Viertel zerstört – zu strategisch wichtig, zu nah dran an dem politischen Zentrum der Macht in der Wilhelmstraße. Auf dem ehemaligen Ullstein-Gelände steht heute unter anderem das GSW-Hochhaus mit der rot-orangefarben schimmernden Fassade. Eine steinerne Eule vom alten Verlagshaus erinnert am Fuße des Axel-Springer-Hoochhauses noch an den Ullstein-Verlag. Das Axel-Springer-Hochhaus selbst steht auf dem Gelände des ehemaligen Scherl- bzw. Hugenberg-Verlags.

Die Jerusalemkirche, auch „Zeitungskirche“ genannt, die am Ende der heutigen Rudi-Dutschke-Straße stand, wo diese auf die Lindenstraße stößt, war nach dem Krieg nur teilweise zerstört, aber schwer beschädigt. Die Ruine fiel letztlich 1961 der Straßenplanung zum Opfer, als man die damalige Kochstraße mit der Oranienstraße verbinden wollte: die Kirche stand schlicht im Weg. Der Kirchengrundriss ist durch eine Doppelreihe rötlicher Pflastersteine auf der Straße nachgezeichnet (genau: nein, das ist nicht der Verlauf der Berliner Mauer!) und es gibt eine Gedenkstele mit Original-Terrakottarelief aus der alten Kirche am Fuße des Axel-Springer-Hauses.

Mehr Informationen zum Thema:

Die Initiative Berliner Zeitungsviertel e.V. will die Erinnerung an das historische Pressequartier stärken und Brücken zu Gegenwart und Zukunft schlagen: http://berliner-zeitungsviertel.de/

Im Ullsteinhaus am Tempelhofer Hafen, das 1927 fertig gestellt wurde, konstitiert sich derzeit das „Deutsche Pressemuseum im Ullsteinhaus“: http://www.dpmu.de/ullsteinhaus/

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