Neue Synagoge: Einstein spielt Geige und ein Polizist beweist Zivilcourage

Die große und die zwei kleinen goldenen Kuppeln leuchten schon von weitem in der Wintersonne. 1866 wurde die Neue Synagoge mit der orientalisch anmutenden Fassade in der Oranienburger Straße 30 eingeweiht. Die mit 3200 Plätzen  größte Synagoge Deutschlands war einst – mit Orgel und deutschsprachigem Gottesdienst – ein Zentrum des Reformjudentums. Von Anfang an öffnete sie ihre Türen ganz selbstverständlich auch für nichtjüdische Besucherinnen und Besucher, zum Beispiel bei regelmäßigen öffentlichen Wohltätigkeitskonzerten. Am 29. Januar 1930 gab es Musik von Händel und Bach: Einer der Violin-Solisten war Albert Einstein.

Da bei dem 1857 ausgeschriebenen Wettbewerb unter Vorsitz von Architekt und Schinkel-Schüler Carl Eduard Knoblauch kein eingereichter Entwurf überzeugen konnte, wurde kurzerhand Knobloch selbst mit dem Bau des neuen jüdischen Gotteshauses beauftragt. Knoblauch gestaltete das beeindruckende Gebäude, das schnell zu einem der Wahrzeichen Berlins wurde, im maurischen Stil – inspiriert von der Alhambra in Andalusien.

Das Grundstück stellte eine komplizierte, verwinkelte Herausforderung dar, die große Kuppel liegt, gut sichtbar über dem, heute rekonstruierten, Vordergebäude mit Eingangsbereich und Verwaltungsräumen. Der eigentliche Hauptsaal erstreckte sich schräg abgewinkelt nach hinten in das Grundstück Richtung Auguststraße hinein, so gut es eben ging nach Osten, nach Jerusalem, ausgerichtet. Der Bau begann 1859, Knoblauch selber erlebte die Fertigstellung des Gebäudes nicht mehr. Nach seinem Tod wurde Knoblauch abgelöst von seinem Kollegen Friedrich August Stüler, der seinerseits 1865 verstarb und damit die Einweihung der prächtigen Synagoge, die am 5. September 1866 in Anwesenheit des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck stattfand, ebenfalls nicht mehr mit erlebt hat.

Während der von den Nationalsozialisten organisierten und gelenkten Pogrome gegen Juden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden mindestens 1.400 und damit über die Hälfte aller jüdischen Synagogen oder Gebetshäuser in Deutschland und Österreich zerstört oder stark beschädigt. Auch in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße legt die SA in jener Nacht Feuer. Obwohl es Anweisung gab, nicht einzugreifen und lediglich für den „Schutz“ jüdischen Eigentums durch Plunderung zu sorgen, schafft es der Polizeireviervorsteher Wilhelm Krützfeld mit Zivilcourage und beherztem Auftreten die Neue Synagoge vor der völligen Zerstörung zu retten. Er zwingt die SA-Leute zum Rückzug und bringt die Feuerwehr unter Berufung auf die Denkmalschutzverordnung dazu, den Brand zu löschen. Eine Gedenktafel an der Außenfassade erinnert seit 1995 an seine Tat, eine Polizeischule in Schleswig-Holstein trägt heute seine Namen. Krützfeld wurde später versetzt, aber nicht sanktioniert. 1943 ging er auf eigenen Wunsch in den Ruhestand, 1945 trat er wieder in den Polizeidienst ein und wirkte beim Neuaufbau der Berliner Polizei im sowjetischen Sektor mit. Seit 1966 gibt es am Haus bereits eine Gedenktafel zur mahnenden Erinnerung an die Pogromnacht des 9. November 1938, wobei in der Inschrift der von den Nazis verwendete Begriff der „Kristallnacht“ leider ohne Anführungszeichen verwendet wird.

Von April 1939 bis März 1940 wurde die Synagoge noch für Gottesdienste genutzt. Am 30. März 1940 findet hier der letzte Gottesdienst statt, bevor die Wehrmacht das Gebäude beschlagnahmt und fortan als Lagerhaus für Uniformen missbraucht. Bei einem Bombenangriff im November 1943 wird die Haupthalle zerstört und brennt aus, 1958 werden die Reste gesprengt – nur der vordere Teil, rußverschmutzt und ohne Kuppel, bleibt stehen. Im Juli 1988 gründet sich die Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum, 1989 wird bei Enttrümmerungsarbeiten im Eingangsbereich die Ewige Lampe gefunden, die einmal vor dem Toraschrein hing. Sie wurde vermutlich zusammen mit anderen Metallgegenständen verwendet, um die 1943 eingezogene Trümmerschutzdecke aus Beton zu verstärken.

Die Haupthalle der Synagoge wurde nie wieder aufgebaut, aber der vordere Teil zur Oranienburger Straße hin, der Eingangsbereich, die Frontfassade, die große goldene Kuppel und die Ecktürme mit den beiden kleinen Kuppeln wurden so detailgetreu wie möglich rekonstruiert. Am 7. Mai 1995 wurde die Neue Synagoge, heute Sitz des Centrum Judaicum und der Dauerausstellung „Tuet auf die Pforten“, wieder eröffnet.

Im Inneren sind einzelne architektonische Fragmente des alten Gebäudes zu entdecken, die Dauerausstellung zeigt wiederentdeckte Gegenstände der Innenausstattung, alte Stadtpläne und Dokumente, Zeugnisse jüdischen Lebens in Berlin, in der Neuen Synagoge, aber auch den anderen jüdischen Einrichtungen rund um die Oranienburger Straße. Ausgestellt sind unter anderem ein Selbstportrait Max Liebermanns, aber auch aktuelle Objekte von Schülerinnen und Schüler der jüdischen Oberschule in der Großen Hamburger Straße. Über bodentiefe Fenster wird zudem ein Blick auf den Hof frei – dort, wo einst die Haupthalle stand. Und man sieht ein Foto einer der letzten Hochzeiten, die in der Neuen Synagoge stattgefunden haben: Am 17. Dezember 1939 heirateten Heinz Meyer und Ingeborg Silberstädter. Beide wurden am 17. Mai 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Mehr Informationen:

Der Besuch ist, nach Sicherheitskontrolle am Eingang, von Sonntag bis Donnerstag (10 bis 18 Uhr) und Freitag (10 bis 15 Uhr) möglich. Die Kuppel und der Gebetsraum können derzeit nicht besichtigt werden. Dafür lockt neben der Dauerausstellung (Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 4 Euro), aktuell eine Sonderausstellung mit Fotografien der Fotojournalistin Eva Kemlein, „Chronistin der Berliner Nachkriegs- und Theaterjahre“ (Eintritt: 3,50 Euro, ermäßigt 3 Euro oder in Kombination mit der Dauerausstellung: 7,50 Euro, ermäßigt 6 Euro).

Weitere Informationen unter anderem zu aktuellen Veranstaltungen unter: www.centrumjudaicum.de

 

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